Gemeindechronik 1945

Die von Signalese übersetzte Nachricht sagt, daß die 65. Division telfonisch vom Hauptquartier des 20. Korps verständigt wurde, daß am 7. Mai um 10.50 Uhr das deutsche Oberkommando die Bedingungs-lose Kapitulation unterzeichnet hat. Die bedingungen treten am 9. Mai um 00.01 Uhr in Kraft.
Für die 65. Division (Infanterie-dion) hatte dieser Zeitpunkt noch eine andere Bedeutung. Generalmajor Stanley S. Reinhart, Divisions-kommandeur, Brigadegeneral John E. Copeland, stellvertretender Di-visionskommandeur und Oberst William T. Epes, Stabschef, fuhren in der Nacht nach Erlauf, um sich mit dem russischen General, der der 65. Division gegenüberstand, zu treffen. Eine Division, welche öst­lich von Saarlautern vorgestoßen war, traf sich mit einer anderen, welche westlich von Stalingrad kam, in einer kleinen Stadt (Erlauf) 45 Meilen östlich von Linz und 55 Meilen westlich von Wien. (Anm: das kann nur Erlauf sein, zumal schon an anderer Stelle als Treffort das "kleine Donaudörfchen Erlauf" genannt wird.)
Der Krieg auf dem europäischen Kriegsschauplatz war vorüber.
ETO = European - Theatre - of Operations
Demnach hat der zweite Weltkrieg auf europäischen Territorium in Erlauf sein Ende gefunden; Erlauf ist mit dieser Tatsache in die Weltgeschichte (Kriegsgeschichte) eingetreten.
Es seien aber auch einige Ereignisse aus Erlauf selbst, die sich in jenen Tagen abgespielt haben, festgehalten. Im allgemeinen kann gesagt werden, daß von der Besatzungsmacht viel geplündert wurde, doch sind zum Glück in unserer Gemeinde selbst, und das muß zur Ehre der Roten Armee gesagt werden, hohe Gewaltakte nicht vorge­kommen. Aber auch nicht alles geplünderte Gut ist von den Russen verschleppt worden, sondern Einheimische haben sich auf deren Konto in den Besitz von Dingen gesetzt, auf die sie keinerlei Rechtsanspruch erheben konnten. Alles Folgen des unseligen Krieges! "Vae victis!" (Wehe dem Besiegten!)
     
Zwei Szenen möchte ich. noch festhalten, wie sie mir der nochmalige Bürgermeister von Erlauf, Sattler- und Tapezierermeister Herr Heinrich Meßner aus Erlauf 72  erzählt hat:
Die zurückflutenden deutschen Truppen hatten auch nicht verges-sen, die Erlaufbrücke (von den Einheimischen Landbrücke genannt),
die 500 m wetlich von Erlauf liegt, zur Sprengung vorzubereiten. Auf dem Straßenbrückenpfeiler nahe dem westlichen Brückenkopf lag
eine schwere Bombe, daneben ein Karton, in dem sich die Zündanlage befand. Ein Unteroffizier erklärte auch, wie man die elektrische Zündung entschärfen und unwirksam machen könne. Er habe dann unter Mithilfe des Arbeiters Franz Binder aus Erlauf 2 um 3 Uhr früh das Zündkabel durchschnitten, den Karton entfernt und diesen flußab-wärts in einen Tümpel geworfen. Durch diese schneidige Tat wurde wahrscheinlich die Sprengung der Brücke verhindert, weil bald da-rauf ein Sprengkommando auf Fahrrädern angerückt kam, um die Spren-gung zu vollziehen. Als sie aber die Entschärfung der Ladung sahen, fuhren sie weiter in Richtung Westen.       
Der Zeuge Meßner berichtet dann weiter; er gibt an: "Als ich am 8. Mai 1945 nach der hl. Messe im Orte erfuhr, daß die Russen im Anrollen seien, forderte ich den Gründer der Molkerei in Erlauf und langjährigen, früheren Gemeinderat Alois Leonhartsberger aus Knocking 3/7 auf, zum Empfang der Russen bei mir zu bleiben. Er
stellte sich mir auch gleich als alter Feuerwehrkamerad und Freund zur Verfügung. Ich beschaffte mir eine weiße Fahne und wartete mit ihm auf der Bundesstraße im Orte. Schon um 10 Uhr waren russische Vorhuten verkraftet (Panzer) in Richtung Amstetten durchgefahren, die aber wieder zurückfuhren. Um 13 Uhr bemerkte uns ein russischer Panzer, der Halt machte. Ein.Offizier sprang mit schußbereiter Pistole heraus und ging auf uns zu. Er sprach deutsch und fragte, wo alle Männer seien. Ich sagte ihm, daß die meisten aus dem Kriegsdienst noch nicht zu Hause seien. Er wollte das nicht glauben und sprach die Vermutung aus, daß eventuell auf den Dachböden bewaffnete Männer sein könnten, um auf die Russen zu schießen. Schließlich konnte ich ihm doch einreden, daß hier niemand an einen Widerstand denke. Der Offizier nahm denn eine Karte aus der Tasche, sah nach,
bemerkte darinnen die Erlaufbrücke und fragte, ob diese gesprengt sei. Ich sagte ihm, daß ich durch Entfernung der Zündvorrichtung die Sprengung verhindert habe, worauf er mit einem "Karoscho, karoscho" und die Hand gab, den Panzer bestieg und beruhigt wieder weiter fuhr."    
Die Einquartierungen hörten nach etwa 3 Wochen auf und es wurde im Orte wieder ruhiger. Es wäre interessant zu,wissen, welchen Schaden die Plünderungen in der ganzen Gemeinde ausmachten, Kraftfahrzeuge aller Art, Pferde, Rinder, Schweine, Fahrräder, Möbel, Radioappa-rate , Kleider, Lebensmittel, Alkoholika, kurzum, es wurde alles gebraucht und "sapralisiert", das heißt mitgenommen, nicht etwa gestohlen (sapzarapt). Allmählich kehrten auch die hieisigen Sol-daten aus allen Frontgebieten zurück und viele sind in die Kriegs-gefangenschaft gegangen, aus der manche erst nach zwei Jahren zu-rückkehrten. Auch dem Schreiber dieser Notizen, der schon im 1. Weltkrieg viermal ins Feld gegangen war, blieb dieses Los nicht erspart. Er geriet als Genarmerie-Abteilungsführer (Bez. Oberleut-nant) am 8. Mai 1945 um 16 Uhr in Oberndorf a/d Melk nach mehr als dreißigjähriger Dienstzeit beim Absetzen nach Westen in russische Gefangenschaft, aus der er erst am 15.9.1946 aus dem Komitat Gorki an der Wolga mit einem Körpergewicht von 42 Kilogramm heimkehrte (normal 70 kg.) Daß auch sein Sohn Roland Sinn, der als Bordfunker in der deutschen Luftwaffe diente, am 8.4.1942 bei einem Nachtan-griff auf Alexandrai mit einer Kampfmaschine ME 111 abgeschossen wurde sei nur nebenbei vermerkt. Er geriet lebend in britische Kriegsgefangenschaft, wurde nach  Canada (Lerbridge) verschleppt und kehrte am 26.7.1946 über England nach Erlauf zurück. Zur Zeit dieser Aufzeichnungen(Winter 1964) diente er als Hauptschul-Oberlehrer in Emmersdorf a/d Donau.
 
1945 
GeistlicherRat,Pfarrer Ludwig Schützner ist am 15.11. nach vierzigjähriger, priesterlicher Tätigkeit gestorben. Er ruht in einem Ehrengrabe im Gemeindefriedhof von Erlauf.